Konstruktion: w-Überschrift:w-VL-Satz
Kurzname der Konstruktion:
Die Konstruktion wird in der Literatur bzw. in Grammatiken auch thematisiert unter:
Konstruktionstyp:
Syntaktische Konstruktion
Struktur/Form der Konstruktion:
w-Ausdruck_XP_fin.Verb
Bei der in der Forschung als „w-Schlagzeile“ (Oppenrieder 1989) bzw. „w-Überschrift“ (Finkbeiner 2018) bezeichneten Satztyp-Konstruktion w-Überschrift:w-VL-Satz handelt es sich um selbstständige, d.h. in uneingebetteter Verwendung auftretende w-Verbletzt-Sätze mit spezifischer Illokution, die ausschließlich auf das Überschriftenformat restringiert sind (vgl. Külpmann/Finkbeiner/Stawecki 2021). Neben spezifischen Formmerkmalen wie topologischen Eigenschaften (Endstellung des finiten Verbs), kategorialen Eigenschaften (initialer w-Ausdruck, Fehlen einer spezifischen Modalpartikelselektion), intonatorischen Eigenschaften (fallende Intonation bei mündlicher Realisierung) und semantischen Eigenschaften (präsupponierte Proposition), die die Konstruktion (Kxn) in ihrem Zusammenspiel determinieren, wird deren selbstständige Verwendbarkeit und Illokutionsfähigkeit durch ihre Bindung an die sequenzielle Position der Überschrift lizensiert (vgl. Finkbeiner 2018: 21). Damit fungiert das Merkmal der Überschrift-Position, das je nach Medium eine unterschliche Ausprägungsform aufweisen kann (z.B. Text<sub>Überschrift</sub>, Film<sub>Überschrift</sub>, Musik<sub>Überschrift</sub>) als satzexterner Lizensierungsmechanismus, der der w-Überschrift ihr pragmatisches Potenzial verleiht und dafür sorgt, dass der betreffende w-Verbletzt-Satz auch dann den Überschriften-Kontext „projiziert“, wenn man ihn in Isolation – d.h. ohne begleitenden Text – präsentiert (vgl. Külpmann/Finkbeiner/Stawecki 2021: 137). Die Überschrift-Position wird dabei insbesondere durch graphematische und typographische Mittel (vgl. Gallmann 1985: 10f.) indiziert, so ist der w-VL-Satz durch Anfangsgroßschreibung ausgezeichnet, weist als Grenzsignal das Zeilenende auf und setzt sich vom Fließtext über die Darstellung in einer eigenen Zeile hinaus durch Schriftgröße und Schriftstärke ab.
Als Teil einer Überschrift-Text-Konfiguration sind w-Überschriften sprachliche Ausdrücke, die auf ein nachfolgendes komplexes Diskurssegment (nämlich den Text) verweisen. Ihre Besonderheit besteht darin, wiederaufgreifende Sprechakte bzw. ‚Meta-Sprechakte‘ zu konstituieren, die ein Scharnier zwischen einer im Diskurs KE:latente_Leserfragelatenten Leserfrage (anadeiktische Komponente) und einer nachfolgenden Text-Antwort (katadeiktische Komponente) bilden (vgl. Finkbeiner 2018: 28-30). Dieser Meta-Sprechakt, den Textproduzenten durch die typographische Auszeichnung des w-VL-Satzes als Überschrift vollziehen („Überschriften-Illokution“, vgl. Finkbeiner 2021), entspricht dem Typ „Mitteilung“ und lässt sich wie folgt umreißen: 'Der Textproduzent sagt, dass der Textrezipient im folgenden Text erfahren wird, X<sub>[w-VL-Satz]</sub>.' (vgl. Finkbeiner 2018: 22).
Während die anadeiktische Komponente strukturell induziert ist, indem analog zu zitierenden Verwendungen die Verbletztstellung in Kombination mit der fallenden Intonation die wiederaufgreifende Lesart eines latenten Leserinteresses nahelegt, das sich in einer Art „Wissenslücke“ auf Seiten des Adressaten manifestiert, welche formal durch das initiale w-Element markiert wird, ist die katadeiktische Komponente hingegen kontextuell induziert, indem die Überschrift zu der Implikatur einlädt, dass der begleitende Text die durch den w-Ausdruck angezeigte Wissenslücke des Lesers schließen wird, d.h. in Aussicht stellt, dass dort etwas über den durch das w-Element gekennzeichneten Teil der Proposition ausgesagt wird. Im Kontext der Überschrift wird die strukturell vorhandene Antworterwartung somit auf den Bezugstext verlagert und damit ein Anreiz geschaffen, den Text zu lesen (vgl. Finkbeiner 2018: 29-33).
Weiterführende Informationen
1) Textsortenverträglichkeit:
Das latente Leserinteresse lässt sich als Frage („Question under Discussion“ (QUD), vgl. u.a. Rosemeyer 2022) auffassen, die in der w-Überschrift in impliziter Form adressiert wird. Während QUDs, die direkt adressiert werden, signalisieren, dass der Sprecher die Frage nicht beantworten kann, haben w-Überschriften hingegen die Signalwirkung, dass der Text eine Antwort auf die QUD gibt (vgl. Finkbeiner/Külpmann 2022: 63-67). Dies geht mit der Verträglichkeit mit bestimmten Textsorten einher: So werden w-Überschriften frequent insbesondere in Magazinen eingesetzt, welche vornehmlich Texte enthalten, die ein solches Leserinteresse als Vorbedingung besitzen und/oder eine darstellende Zielerreichungsweise verfolgen (z.B. erklären, bewerten) (vgl. Stawecki in Vorb.). Durch das Aufgreifen der KE:latente_Leserfragelatenten Leserfrage führen w-Überschriften die von ihnen benannten Sachverhalte nicht erst neu in den Diskurs ein, sondern setzen sie als faktisch oder bekannt voraus. In dieser Eigenschaft, ihre Proposition bereits zu präsupponieren, sind w-Überschriften eher mit Textsorten verträglich, deren Zweck es ist, eine (gegebene) Proposition zu spezifizieren (z.B. Rezensionen, Reportagen und Kommentare), als mit solchen, deren Zweck es ist, eine (neue) Proposition mitzuteilen (z.B. Meldungen) (vgl. Finkbeiner 2018: 35-38).
2) Subschemata:
Für die w-Überschrift lassen sich verschiedene Schematizitäts- und Komplexitätsgrade angeben. So gibt es z.B. hochspezifizierte Subschemata wie „Was Sie über X wissen müssen/sollten“, „Was wir über X wissen“ oder „Warum X (so) wichtig ist“, die dadurch, dass neben dem w-Element und dem finiten Verb in Endposition auch das Mittelfeld lexikalisch weitestgehend spezifiziert ist, eine geringere Schematizität aufweisen, indessen aber produktiv verwendet werden. Dabei haben sich z.T. auch Subschemata ausgebildet, deren Gebrauch exklusiv mit einer bestimmten Sorte von Text verbunden ist, z.B. „Was X<sub>[Eigenname_Prominente(r)]</sub> an einem Tag isst“, das produktiv in Food-Journalen wie gala.de verwendet wird.
Morphosyntaktische Komplexität & Kategorie
einfacher SatzVL |
Schematizität | Idiomatizität | Beschränkungen |
---|---|---|
0.5 | unidiomatisch | ja (formseitig + semantisch/pragmatisch) |
Konstruktionselemente (KE) Kern Konstruktionselemente mit lexikalisch festen Instanzen (KE-lex)
w-Ausdruck_fin.Verb |
W-Überschriften werden durch einen einleitenden (d.h. satzinitialen) w-Ausdruck in Kombination mit einem finiten Verb (Vollverb, Modalverb oder Hilfsverb) in Satzendstellung evoziert. Als w-Ausdrücke kommen alle (substituierenden, adverbialen, attribuierenden …) Interrogativa infrage, so z.B. wer, was, warum, inwiefern, welche [Ansichten]. Optional kann der w-Ausdruck mit vorangestellter Präposition realisiert werden (z.B. mit wem oder über was). Ebenso sind multiple w-Ausdrücke zulässig (z.B. wie und wo). Beispiel: {
KE:latente_LeserfrageWas KE:latente_Leserfrage die Fusion für Kunden KE:latente_Leserfragebedeutet {
KE:latente_LeserfrageWie KE:latente_Leserfrage eine Generation die Sprache KE:latente_Leserfrageruiniert
Zotig : {
KE:latente_LeserfrageÜber was KE:latente_Leserfrage wir KE:latente_Leserfragelachen {
KE:latente_LeserfrageWie und wo KE:latente_Leserfragedie Stadt einst KE:latente_Leserfragebadete |
Konstruktionselemente (KE) Kern Weitere Konstruktionselemente (KE)
latente_Leserfrage | |
Bei diesem Kern-KE, das stets in der Form eines uneingebetteten w-VL-Satzes realisiert wird, handelt es sich um eine im Diskurs potenziell vorhandene Leserfrage, die durch die w-Überschrift in zitierender Form aufgegriffen wird. Im Sinne der „Question under Discussion (QUD)“-Theorie (vgl. u.a. Rosemeyer 2022) ist sie als Frage zu verstehen, die in der w-Überschrift implizit adressiert wird. Während QUDs, die direkt adressiert werden, signalisieren, dass der Sprecher die Frage nicht beantworten kann, zeigen w-Überschriften hingegen an, dass der Text eine Antwort auf die QUD ist bzw. dieser das Leserinteresse zufriedenstellend bedienen wird (vgl. Finkbeiner/Külpmann 2022: 63-67). Insofern die Verbletztsatz-Struktur stets mit fallender Intonation ([\]) einhergeht, wird das Wiederaufgreifen der KE:latente_Leserfragelatenten Leserfrage durch die w-Überschrift auch durch prosodische Mittel indiziert. Beispiel: {
KE:latente_LeserfrageWie KE:latente_Leserfrage Schulbücher den Mauerfall KE:latente_Leserfragedarstellen {
KE:latente_LeserfrageWarum KE:latente_Leserfrage die Krisen Europa KE:latente_Leserfragebetreffen Typische Realisierungen: selbstständiger w-VL-Satz mit fallender Intonation | |
Kern-KE-Sets | |
---|---|
latente_Leserfrage |
Konstruktionselemente (KE) Nicht-Kern
Konstruktionselemente (KE) Korrelierende Elemente (KorE) exemplarisch